Berufen wider Willen

 

Ich habe lange mit der Idee gerungen, Theologie zu studieren. Einmal meinte jemand im Hauskreis, dieses Studium sei etwas für mich. Ich bezweifelte das. Später erhielt ich einen Brief meiner ehemaligen Sonntagsschullehrerin, die nun in Paraguay lebte. Das war verrückt, ich hatte sie lange nicht gesehen, und sie hatte keine Ahnung, was mich jetzt beschäftigte. Sie schrieb, ich solle mir überlegen, Theologie zu studieren! Es klingt kitschig, aber das war eine Berufung.

Ich war nicht begeistert von dieser Berufung, aber ich schrieb mich bei der Theologie ein. Nach zwei Semestern hatte ich die drei alten Sprachen absolviert, das war ein Gottesgeschenk. Die exegetischen Seminare fand ich besonders spannend. Ein Semester lang ringt man dort mit ein paar Versen. Dieser Kampf um Bedeutung, diese Liebe zum kleinsten Detail haben mich begeistert. Wichtig war für mich auch die grosse Nähe zu den Dozenten. Nach einem Fakultätsfest schwingt in Basel auch einmal ein Professor den Besen.

Als Pfarrer in der Basler Thomas-Gemeinde sind meine Schwerpunkte Abendgottesdienste für Junge Erwachsene und die Arbeit mit Jugendlichen. Ich kann viel Zeit und Energie auf Lager und Weekends verwenden, sei das ein Skilager oder ein Philippinen-Einsatz für junge Erwachsene, bei dem wir mit den Leuten aus den Slums in ihren Wellblechhütten lebten.

In Lagern kann sich plötzlich unheimlicher Tiefgang entwickeln. Beim Maultiertrekking im Jura zum Beispiel fragte mich ein Konfirmand unvermittelt: «Was würdest Du Jesus fragen?» Ich war verdutzt, aber er liess nicht locker. Etwas verlegen fragte ich zurück: «Was würdest Du ihn denn fragen?». Er sagte: «Ich würde Jesus fragen: Was möchtest Du von mir?» Ich lerne von den Jugendlichen mehr als sie von mir.