Masken als coronabedingte Distanzpraktiken bedeuten einen erheblichen Einschnitt in die Art und Weise, wie wir uns im öffentlichen Raum begegnen und bewegen. Während Befürworter*innen der Maske, die niemanden anstecken wollen, sich in ihr Zuhause zurückziehen, legen Gegner*innen als sichtbares Zeichen des Protests ihre Masken ab oder fordern zumindest ihre Nasenfreiheit ein. Für die einen ist das Maskentragen ein Akt der Selbstzurücknahme zugunsten der Mitmenschen. Für die anderen stellt die Maske einen Maulkorb der freien Meinungsäusserung und Selbstentfaltung dar. Die hier beschriebenen Deutungen und Verwendungsweisen von Masken zeigen deren Einfluss auf die Art und Weise, wie wir Raum einnehmen. Deshalb wird in diesem Beitrag die räumliche Dimension von Masken betrachtet, indem diese als prägend für Orte des Darstellens und Verhüllens sowie für Orte der Sorge und Gefährdung gezeichnet werden.
 

Zwischen Darstellung und Verhüllung

Der Begriff der Person lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auf das etruskische Wort persu zurückführen, das Maske und Schauspieler*in bedeutet (Mührel, 105) und zwei Deutungsmöglichkeiten nahelegt. Erstens stehen hinter Masken von Schauspieler*innen verschiedene Rollen, die diese zu spielen haben. Die Angemessenheit ihres Schauspiels lässt sich am «klugen und richtigen Gebrauch der Masken [ablesen], um der Allgemeinheit der Gesellschaft keinen Schaden zuzufügen» (Mührel, 106). Person-Sein in dieser Perspektive hiesse dann, sich angesichts der aufgetragenen Rollen bzw. Masken angemessen zu verhalten und das für andere sichtbar zur Darstellung zu bringen. Eine Maske lässt das Individuum in den Hintergrund treten, indem sie dieses gleichzeitig schützt und verbirgt sowie dessen (Bewegungs-)Freiheit ermöglicht und einschränkt. Durch Corona wird der öffentliche Raum zum «Raum der Maske» (Lindemann, 257), in dem wir uns gemäss unseren Rollen verhalten. Im privaten Raum hingegen können wir unsere Masken ablegen, uns ungezwungen bewegen und einander authentisch begegnen.

Maske als persona verweist zweitens auf das lateinische Verb personare und somit auf die durch sie hindurchtönende Stimme von Schauspieler*innen (Olschanski, 86). Die Maske tritt zwischen Gesprächspartner*innen und verdeckt im Falle der Schutzmaske Gesicht und Mimik als wesentliche Momente unmittelbarer Kommunikation, die das Gesagte unterstützen und kommentieren können (Olschanski, 17). Sie reduziert einerseits die «Möglichkeiten facialer Gefühls- und Authentizitätsausdrücke» (Alkemeyer/Bröskamp, 73) und geht andererseits mit einer gewissen Deutungsunsicherheit und Orientierungslosigkeit einher. Indem sie «die hierzulande wichtigste Kontaktfläche» (Alkemeyer/Bröskamp, 72), nämlich das Gesicht des Gegenübers, verbirgt, stellt sie einen Einschnitt in das soziale Miteinander dar.


Zwischen Schutz und Gefährdung

Zum einen markieren Masken Körper als sichtbare Infektionsherde, deren Gesichtsöffnungen das Potenzial haben, das Virus unkontrolliert in die Welt hinauszuschleudern (Alkemeyer / Bröskamp, 71f.). Mitmenschen kommen dadurch als potenzielle Orte der Gefährdung in den Blick, zu denen man im Alltag fast unbewusst auf Distanz geht. Eine solche Gesellschaft, in der alle einander zur Bedrohung werden können, wird von einer latenten Atmosphäre des Misstrauens durchdrungen.

Zum anderen etablieren Masken einen Schutzraum für sich selbst und andere. Durch die mit der Maskierung einhergehende Distanzierung wird wechselseitige Solidarität sichtbar, die sich in einem Verzicht auf Nähe und Sorge und nicht in Aktivismus und tätigem Altruismus ausdrückt. Masken grenzen somit nicht nur ab, sondern können auch Beziehungen zu anderen schaffen und als Zeichen von Respekt gegenüber anderen verstanden werden (Alkemeyer/Bröskamp, 75). Dieses Spannungsfeld zwischen Distanz, Verdacht und Angst sowie Sorge und Achtung ist für das Zusammenleben in Zeiten von Corona herausfordernd.


Orte der Sorge

Masken können ein Individuum zugleich verdecken und zur Schau stellen. Sie können Misstrauen oder Vertrauen wecken. Sie vermögen zur Schaffung sowohl von Orten des Schutzes und der Sorge als auch von Orten der Beschränkung und der Gefährdung beizutragen. Wenn die Maske einen wesentlichen Teil des Gesichts verdeckt, können insbesondere der Blick und die Stimme mit grösserem Nachdruck in den Vordergrund treten. Unser maskierter Gesichtsausdruck kann «durch eine intensivierte Sprachfähigkeit der Augen» (Sequeri) kompensiert werden, ja die Maske erlaubt gegenwärtig sogar situative Intensivierungen von Blickkontakten selbst unter Fremden (Alkemeyer/Bröskamp, 73). Auch die Stimme kann in Begegnungen mit Maske eine gewisse Wirksamkeit bewahren, selbst wenn die Verständlichkeit durch das dazwischenliegende Gewebe beeinträchtigt wird. Worte können immer noch erreichen, berühren, begeistern oder verletzen (Lindemann, 258). Der Blick und die Stimme können gerade angesichts von Masken in den Vordergrund treten und zu alternativen Orten von Sorge werden.

Dr. Melanie Werren ist Postdoktorandin und wissenschaftliche Assistentin am Institut für Systematische Theologie der Uni Bern.

Der vollständige Artikel ist in der bref-Beilage konstruktiv (PDF) der Theologischen Fakultät Bern (2021) zum Thema "Maske und Gesicht" erschienen.


Literatur

  • Thomas Alkemeyer / Bernd Bröskamp, Körper – Corona – Konstellationen. Die Welt als (körper-)soziologisches Reallabor, in: Michael Volkmer / Karin Werner (Hg.), Die Corona-Gesellschaft. Analysen zur Lage und Perspektiven für die Zukunft, Bielefeld 2020, 67–78.
  • Gesa Lindemann, Der Staat, das Individuum und die Familie, in: Michael Volkmer / Karin Werner (Hg.), Die Corona-Gesellschaft. Analysen zur Lage und Perspektiven für die Zukunft, Bielefeld 2020, 253–261.
  • Eric Mührel, Maske und Existenz. Philosophische und sozialpädagogische Betrachtungen zu Person und Biographie, in: Birgit Griese (Hg.), Subjekt – Identität – Person? Reflexionen zur Biographieforschung, Wiesbaden 2010, 103–114.
  • Reinhard Olschanski, Maske und Person. Zur Wirklichkeit des Darstellens und Verhüllens, Göttingen 2001.
  • Pierangelo Sequeri, Der Blick und die Maske: https://theocare.wordpress.com/2020/04/22/der-blick-und-die-maske-pierangelo-sequeri/ (15.04.2021).