Hinter die Kulissen schauen

 

Ich bin als Italiener in Appenzell Ausserhoden aufgewachsen. Meine Eltern, eine Katholikin und ein Neuapostole, konnten sich nicht einigen, in welcher Kirche meine Schwester und ich unsere religiöse Erziehung erhalten sollten. Die reformierte Kirche war eine gute Alternative: Wir gingen fortan dort zum Religionsunterricht. Da ich mich wohl fühlte und mir der Glaube zusagte, wurde ich mit der Konfirmation Mitglied.

Schon vor der Konfirmation – meine Eltern waren inzwischen geschieden – ging ich gelegentlich alleine in den Gottesdienst. Unser Pfarrer gab mir und meinen Freunden immer wieder Denkanstösse, forderte uns heraus, liess uns auch mitwirken und hinter die Kulissen schauen. Als ich ihn im Rahmen eines Schulpraktikums eine Woche lang bei der Arbeit begleitete, wurde mir klar: Kirche findet nicht nur am Sonntag statt.

Nach der Matura hatte ich ein Praktikum beim Kanton geplant, das kurzfristig verschoben wurde. Als mir der Pfarrer und unser Vikar vorschlugen, stattdessen probeweise ein Semester Theologie an einer deutschen Hochschule zu studieren, liess ich mich spontan darauf ein. Meine beiden grossen Leidenschaften – Religion und Geschichte – fand ich in der Theologie vereint und setzte das Studium in Basel fort.

Ich kann mir vorstellen, in die Wissenschaft zu gehen, würde aber auch gerne Pfarrer werden. In meinem Freundeskreis – besonders bei den Metalheads – bin ich immer schon in die Rolle des Seelsorgers gerutscht. Ich kann gut zuhören und behalte für mich, was andere mir erzählen. Auch in der neunköpfigen Wohngemeinschaft, in der ich lebe – andere Theologen sind nicht darunter – bin ich nebst dem Sozialarbeiter die Anlaufstelle für existentielle Fragen. Wenn ich Vorurteile gegen die Bibel entkräften und Aha-Erlebnisse beim Gegenüber auslösen kann – etwa, indem ich auf problematische Übersetzungen hinweise – freut mich das. Aber meinen Glauben dränge ich niemandem auf.