Die Kirche aufschliessen

Ich bin in Dresden aufgewachsen, wo ich das einzige getaufte Kind in meiner Schulklasse war. Geprägt hat mich die Zeit der Wende, in der sich Menschen mit Kerzen den Panzern entgegenstellten. Es beeindruckte mich, dass der Glaube und die Gemeinschaft den Menschen so viel Kraft gaben, dass sie trotz drohender Repressionen für ihre Ideale und ihre Visionen einstanden. Ganz anders, ohnmächtig und beinahe gleichgültig angesichts gesellschaftlicher Spannungen erlebte ich die Kirche nach der Wende. Da fuhren die Privilegierten mit dem neuen Auto vor, während andere in Arbeitslosigkeit versanken. Die Enttäuschung darüber löste bei mir eine Glaubenskrise aus.

Erst zwanzig Jahre später, nachdem ich als Agronomin in die Schweiz gezogen war, fand ich den Weg zurück in die Kirche. Ich engagierte mich im Gemeindevorstand und sah Stärken und Potenzial der Kirche, aber auch Brüche, Spannungen und Streit. Der Studiengang für den Quereinstieg in den Pfarrberuf sprach mich an, weil ich in der Kirche nicht mehr fand, was ich suchte.

Mein grosses Thema ist die Gemeinde. Was ist sie und was braucht sie? Das hat mich im Studium beschäftigt und beschäftigt mich im Hinblick auf meine Arbeit. Ich will nicht die Pfarrerin sein, die alles vorgibt und einsam auf der Kanzel steht. Ich wünsche mir, dass die Gemeindeglieder selbst aktiv werden, sich beteiligen und Gottesdienste gestalten. Und dass ich diejenige sein darf, die sie dabei unterstützt und miteinander in Verbindung bringt. Diejenige, die ihnen die Kirche aufschliesst, damit sie dort ihre Ideen umsetzen können. Ich möchte gerne miterleben, wie sich die Kirche im 21. Jahrhundert neu ausrichtet, ihre schweren alten Türen aufreisst und einen frischen Wind hineinblasen lässt.