Risse im Fundament

 

Ich habe meinen Glauben intensiv gelebt. Alles, was in Freikirchen dazugehört, habe ich mustergültig durchlaufen: Ich bin mit meiner Familie jeden Sonntag zum Gottesdienst gegangen, die Karriereleiter der Jungschar hinaufgeklettert, habe mich freiwillig engagiert. Ich habe gebetet und in der Bibel gelesen. Ich habe Gottes Gegenwart gespürt, wenn gesungen wurde, Wunder von ihm erwartet und die Beziehung zu ihm gepflegt wie zu einem Freund oder Vater. Schwerpunkt meines Glaubens war dabei die persönliche Erfahrung und Beziehung zu Gott. Sie machten meine Faszination am Glauben aus.

Durch meine Religionslehrerin bekam ich erstmals Einblick in eine mir damals fremde Welt der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Glauben.

Zuerst war ich irritiert, dann neugierig. In meiner Maturarbeit setzte ich mich mit der Hiobgeschichte auseinander, was meine Faszination weckte und mich anstiess, Theologie zu studieren. Die Reaktionen in meinem kirchlichen Umfeld fielen unterschiedlich aus. Manche ermutigten mich, andere warnten sogar davor: «Da verlierst du deinen Glauben!» 

Natürlich blieb die Krise nicht aus, als ich mit dem Studium begann. Religiosität und ihre Phänomene zu erforschen, mich selbst und meinen Glauben auf einer Landkarte verschiedenster Trends und Traditionen zu verorten, warf Fragen auf. Waren meine Gefühle und Erfahrungen real oder nur eine Projektion? 

Einen Monat lang konnte ich nicht mehr beten, sah alles in Frage gestellt, was mir wichtig war. Ich merkte: Mein erlebnisorientierter Glaube trägt mich nicht. Diese Erkenntnis war schmerzhaft, aber wichtig. Es gibt kein Zurück zur früheren Unbeschwertheit, aber es kann nun etwas Tragfähiges wachsen. Ich fühle mich frei, mich auf einen Prozess einzulassen und neu zu fragen: Wer ist dieser Gott? Was steht eigentlich in der Bibel? Und was bedeutet das heute für mich?

Wohin mich dieser Prozess führen wird, weiss ich nicht. Jede Antwort wirft neue Fragen auf. Aber ich freue mich auf die Suche. Und hoffe, es geht ein reifer, reflektierter Glaube daraus hervor, der die Auseinandersetzung aushält. Rückblickend merke ich schon jetzt, dass mein Glaube durch diese Herausforderung an Tiefe gewonnen hat.