Ein Gegenüber sein

 

Ich habe immer gerne mit allen geredet. Besonders, wenn sie starke Überzeugungen haben. Als ich mich als Jugendlicher in ein Mädchen verliebte, das religiös war, forderte mich das heraus. Ich hatte die Sache mit dem Glauben nie verstanden. Die Kirche nahm ich als lächerliche Institution wahr, deren Ideen keiner Überprüfung standhielten. Nun setzte ich mich damit auseinander. Im reformierten Pfarrer meines Dorfes fand ich ein Gegenüber, das ich ernst nehmen konnte. Die Theologie nahm mir den Ärmel rein.

Inzwischen bin ich selbst Pfarrer und stelle mich den Menschen als Gegenüber und Reibungsfläche zur Verfügung. Gerade denen, die der Kirche nicht viel abgewinnen können. So entstand die Aktion, eine Sommerwoche lang das Büro auf einen öffentlichen Platz zu verlegen. In einem Café einen Abend lang über den Tod zu diskutieren. Einen Podcast mit einem Agnostiker zu machen. Mich im Haus der Religionen zu engagieren. Oder – ganz aktuell – ein Kulturrestaurant in einer neuen Siedlung zu planen. Gemeinsam mit anderen setzte ich mich für die Zwischennutzung der Brache ein, auf der sie entsteht. Für das Christentum oder die Kirche interessierte sich da niemand. Aber als die Bagger auffuhren, baten sie mich, eine feierliche Beerdigung für die Brache durchzuführen. Da kamen dem einen oder anderen die Tränen, und ich glaube: Gott war dabei.

Es braucht andere, neue Zugänge, um als Kirche Menschen zu erreichen. Diese Zugänge möchte ich legen. Mein Wunsch ist es, dass Menschen zu spüren bekommen, dass da mehr ist. Mehr als sie oder wir erwarten. Ich werde immer wieder davon überrascht, was im Leben möglich ist. Natürlich scheitere ich mit manchen Ideen, damit kann ich leben. Wenn ich nur immer drei oder vier Projekte am Laufen habe, bei denen noch nicht feststeht, dass sie schiefgehen. Dann weiss ich: Etwas kommt vielleicht noch gut.

Christian Walti: Ein Gegenüber sein