Ich sage häufig: Das ist ungerecht!

 

Es ist wie in der Tragödie: Theologie war mein Schicksal. In der achten Schulklasse hatte ich die Vision, Pfarrer zu werden. Ich lernte Griechisch, und später studierte ich mit Leidenschaft Theologie. Mein Lieblingsfach war Neues Testament, insbesondere die Ethik. Ich schrieb meine Abschlussarbeit über Paulus und die moralischen Ermahnungen, die er an seine Gemeinden richtete.

Ich war Kriegsdienstverweigerer. Nachts im Gefängnis, tagsüber an der Theologischen Fakultät. Gewaltlosigkeit und Gerechtigkeit sind die treibenden Kräfte in meinem Leben. Sie definieren mein Denken, daran hat sich nie etwas geändert. Ich war sechs Jahre Pfarrer in Biel. Danach arbeitete ich zwölf Jahre als Journalist bei La Vie Protestante Bern-Jura und beim welschen Fernsehen. Jetzt sitze ich in der Regierung der Stadt Biel und bin verantwortlich für Bildung, Kultur und Sport. Und ich sage: Auch Politik ist Ethik!

Politik ist aber auch ein Kampf. Ein endloser Kampf um Geld, Stimmen, Kollegen, Projekte. Habe ich einen Kampf gewonnen, folgt der nächste. Ich lasse mich nicht auf Realpolitik reduzieren. Ich sage häufig: Das ist ungerecht.Ganz selten zitiere ich sogar die Bibel. Biel hat grosse Finanzprobleme. Einmal rief ich in einer Sitzung aufgebracht: «Du kannst nicht zwei Herren gleichzeitig dienen.»

Ich schliesse nicht aus, dereinst ins Pfarramt zurückzukehren. Die Kirche hat es nicht einfach heute. Die Gesellschaft bewegt sich weg von ihr. Auch ich gehe nicht mehr häufig zur Kirche. Aber in meinem Büro stehen Fotos von Johannes Calvin, Mahatma Gandhi, Martin Luther King und Nelson Mandela. Für mich ist klar: Die Kirche muss prophetischer werden – visionär sein, provozieren, Gerechtigkeit einklagen.